Samstag, 21. Juli 2012

Indien: Warum eine Debatte über soziale Ausgrenzung?




Goldy M. George
17. Juli 2012
Aus mysteriösen Gründen ist die Frage der sozialen Ausgrenzung zu einem Mode-Schlagwort in allen Debatten über Entwicklung in den vergangenen zwei Jahrzehnten geworden. Derlei Diskussionen rücken in den Vordergrund, wenn die Frage der Entwicklung und des Wachstums eines Landes mit jener der traditionell ausgestoßenen Gruppen irgendeines Landes oder einer Gesellschaft in Einklang kommen muss. Solche Aspekte müssen genauer und wissenschaftlich studiert werden, um einen systembedingten Prozess zu entwickeln. Normalerweise wird es verstanden als eine systematische Praxis, sowohl Individuen als auch Gruppen aus vielerlei Bereichen der Gesellschaft zu vernachlässigen, zu boykottieren oder abzuweisen; dabei spielen Macht, Erziehung, Handel, Privilegien, Chancen und finanzielle Mittel die Schlüsselrolle. In Verbindung mit Armut, Entbehrung und Marginalisierung, drängt soziale Ausgrenzung Gruppen oder Individuen an den äußersten Rand der Gesellschaft.

Obwohl Ausgrenzung ein relativ neuer Begriff im politischen Lexikon ist, ist es nicht schwierig, ihre Wurzel in der Weltgeschichte zu verfolgen. Die implizierte neuere Erweiterung ist die signifikante Ausdehnung in den Bereich ähnlicher Formen von Diskriminierung und ihrer Anwendung. Laut Piron & Curran (2005) „ist Ausgrenzung definiert in Bezug auf Gruppen von Leuten, die vom sozialen, politischen und ökonomischen Prozess und den Institutionen ausgeschlossen sind auf Grund ihrer sozialen Identität - die mehr oder weniger starke Auswirkungen der Armut erfahren als Ergebnis ihrer Ausgrenzung“. Folglich hat Ausgrenzung nicht nur die gedankliche Verbindung mit sozialer Ungleichheit, sondern fordert auch die nicht-Kooperation einer logischen Integrierung der ganzen Gruppe/n in das sozio-ökonomische und politische Leben heraus.
Soziale Ausgrenzung beschreibt einen Prozess bei dem gewisse Gruppen systembedingt benachteiligt und diskriminiert werden auf Basis der Kaste, der Ethnie, Rasse, Religion, sexueller Orientierung, Abstammung, Geschlecht, Alter, Sprache, regionaler Identität, Migrantenstatus etc. Jedoch variiert das Maß der Unterdrückung und Unterwerfung von einem Land zum anderen oder von einer Gesellschaft zur anderen. Leute, die Diskriminierung in verschiedenster Form erleiden – zum Beispiel behinderte ältere Frauen aus ethnischen Minoritäten – sind oft die Allerärmsten. Während sowohl 'Ausgrenzung' als auch 'Diskriminierung' in den meisten Fällen austauschbar sind, scheint es doch einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden Begriffen zu geben. Lee und Thorat (2008) sagen es mit folgenden Worten: „ 'Ausgrenzung' meint Verbot der Teilnahme, während 'Diskriminierung' Teilnahme mit negativer Bedeutung meint“.
Louis (2003, S. 39) meint, dass es der institutionalisierte Versuch ist, ein Segment der Bevölkerung von der sozialen Ordnung draußen zu halten oder 'hinauszuwerfen' [outcast hat im Englischen auch die Bedeutung Ausgestoßener oder Paria. A. d. Ü.]. In einem solchen Kontext trifft es nicht zu, dass ein Individuum ein anderes „schlecht behandelt“, sondern meint den sozialen Zusammenhalt, der den gesamten physischen und sozialen Raum abdeckt. Da soziale Ausgrenzung und Abtrennung Raum bieten für Beherrschung, Diskrininierung und Verelendung, wollen diejenigen, die von dieser sozialen Formation profitieren, keinerlei Veränderung dieser Struktur. Noch bedeutender – dieses soziale System ist höchst resistent gegen Veränderung und Umgestaltung.
Indien hat vielleicht die längste Geschichte sozialer Ausgrenzung in der ganzen Welt. Die abgestufte Ungleichheit der Kasten hat die Sklaverei überlagert und existiert seit mehr als 3500 Jahren. Die Dalits in Indien sind immer noch eine sozial unterdrückte, politisch beherrschte, ökonomisch unterprivilegierte und kulturell unterworfene Gruppe. Trotz der hartnäckigen und entschlossenen Kämpfe in der Geschichte, bleibt die Kaste eine Realität und das Kastensystem beherrscht jeden Aspekt unseres Lebens (George 2004, ebenda). Die historischen Kämpfe von Buddha bis Ambedkar und bis in die Gegenwart sprechen Bände über die anhaltende Ausgrenzung.
In Indien zwingt dieser Kontext zu einem strategischen, systembedingten und wissenschaftlichen Studium der verschiedenen Dimensionen sozialer Ausgrenzung und die Suche nach Möglichkeiten für inklusives Wachstum. Im Grunde erfordert es eine kritische Untersuchung des gegenwärtigen sozio-ökonomischen und politischen Status der Dalits, Adivasis, Minderheiten, Frauen, Leute mit homosexueller Orientierung, Personen, die mit AIDS leben und marginalisierter Gruppen. Dadurch wird man das Ausmaß der Teilnahme und hinderliche Faktoren für den Fortschritt dieser Gruppen analysieren können.


Referenzen:

George, Goldy M. (2004) “Globalisation & Fascism… The Dalit Encounter”, Dalit Study Circle, Raipur
Lee, Joel and Sukhadeo Thorat (2008) “Dalits and the Right to Food: Discrimination and Exclusion in food related Government Programmes”, Working Paper, Indian Institute of Dalit Studies, New Delhi
Louis, Prakash (2003) “Political Sociology of Dalit Assertion”, Gyan Publishing House, New Delhi
Piron, L & Z. Curran (2005) “Public Policy Response to Exclusion: Evidence from Brazil, South Africa and India”, Overseas Development Institute.
Goldy M. George, a Dalit activist for nearly two decades, is a PhD scholar with the Centre for the Study of Social Exclusion and Inclusive Policy, School of Social Sciences, Tata Institute of Social Sciences, Mumbai.


Quelle - källa - source

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