Sonntag, 13. März 2016

Syriens Waffenstillstand ist ein gutes Zeichen für die Rettung des kulturellen Erbes (update)


In diesem Artikel bin ich zu hart gegen Franklin Lamb aufgetreten, was ich hiermit zurücknehme, nachdem ich seinen Artikel 'Why I Bought Four Syrien Children  Off A Beirut Street' gelesen habe. Er beschuldigt sich also des Kinderkaufs und begründet darin, warum er es machte. Ich zitiere: "Während verzweifelte syrische Flüchtlinge keine Visen [im Libanon] erhalten, habe ich, als ein unbedeutender Amerikaner, der reichlich Grund hat, seinen Kopf täglich in Schande hängenzulassen über die Kriege seines Landes, die schon dutzende Jahre in dieser Region anhalten, und über die mehr als eine Million Toten, zu denen seine Regierung beigetragen hat, und ihre so zutiefst unmoralische Politik gegenüber Palästina, damit keinerlei Probleme. Ich kann in eine Polizeistation gehen in der Nähe des Burj al Barajneh Palästinerlagers (in dem jetzt auch hunderte syrische Flüchtlinge leben) und um eine dreijährige Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung ansuchen und erhalten, was ich in dieser Wocher tat, weil ich ein Amerikaner bin und kein Syrer. Etwas stimmt doch nicht an diesem Bild." Also, ich nehme alles zurück.  Ich hatte schlicht bislang noch nie von ihm eine so eindeutige und klare Stellungnahme gelesen.

Franklin Lamb
9. März 2016


Aus dem Englischen: Einar Schlereth

Syriens kulturelle Erbe
Das vorsichtige Nachlassen der Feindseligkeiten in Syrien, das am 28. Februar 2016 in Kraft trat und von Moskau und Washington ausgehandelt wurde, befindet sich erst in der zweiten Woche. Beide Seiten verständigten sich auf zwei Wochen für den Anfang und eine Verlängerung, falls es funktioniert. Die al-Assad-Regierung hat angekündigt, dass sie an neuen Friedensgesprächen in Genf teilnehmen und neue Vorschläge machen wird (geplant får den 14. März 2016). Die Opposition ist noch am Überlegen trotz der nachlassenden Kämpfe.

Es ist gut dokumentiert, dass es tägliche Vorfälle von Artillerie-Beschuss, Luftschlägen und Zusammenstößen gegegeben hat. Doch für die beinahe 12 Millionen vertriebenen Zivilisten, die Hälfte von Syriens Bevölkerung, ist es eine sehr willkommene Atempause und Verminderung des 5-jährigen Gemetzels, das hunderte von Städten und beinahe tausend Dörfer dezimiert hat. Zwischen 300 000 und 475 000 Menschen sind getötet worden, je nachdem, welcher Zählung man glaubt. Die halbe Million Syrier, die in dieser Woche in belagerten Gebieten festsitzen, werden endlich verzweifelt benötigte Nahrung und Medizin erhalten.


Verschiedene Überwachungsgruppen, wie das Büro von Staffan de Mistura, Soderbeauftragter der UNO für Syrien, haben geschätzt, dass die vom Stillstand betroffene Kampf-Tätigkeit insgesamt um 90 % gesunken ist. [Lamb schämt sich nicht, immer noch den kriminellen Besitzer der Londoner Würstchenbude zu zitieren. Ohne mich.] Aber wegen „logistischer“ Probleme gelang es nicht, während der Feuerpause eins der wichtigsten Ziele zu erreichen, nämlich die 160 000 Menschen in zwei Dutzend Gebieten eingeschlossenen Menschen zu versorgen. Es ist auch noch mehr Zeit erforderlich zu erfahren, ob es Gründe gibt, weitere Flüchtlingsströme aus Syrien zu verhindern, oder jene, die geflohen sind, deren Zahl beinahe 5 Millionen beträgt, zu bewegen, aus den Nachbarländern oder den europäischen Ländern heimzukehren.

[Deswegen ist mir der Herr Lamb schon immer supekt gewesen – schon in seiner Berichterstattung aus Libyen – dass er, der mitten drin sitzt und sich pausenlos seiner zahllosen Quellen und Freunde rühmt, willentlich verschweigt, dass bereits eine Million Syrer zurückgekehrt sind und auch aus Deutschland direkt Berichte kommen, dass viele Menschen die Angebote zur Rückkehr gerne annehmen. Außerdem erwähnt er am liebsten gar nicht den Anteil der USA an allen weltweiten Verbrechen. D. Ü.]

In allen Gebieten, wo die Bombardierung und der Beschuss aufgehört haben, gibt es greifbare Erleichterung und sogar von Feiern wird berichtet. Damaskus ist vielleicht der große Ort, der relativen Frieden ohne ernsthafte Unterbrechung erfahren hat. Der größte Teil von Damaskus ist beinahe seliger Hoffnung, gestärkt von dem Nahen eines mütterlich warmen Frühlings. Man bemerkt zahllose Familien-Picknicks und die Kinder füllen die Parks, Spielplätze und Grünflächen in den Städten.

Aus dem Libanon hört man Stimmen syrischer Flüchtlinge, die so schnell wie möglich zurückkehren möchten, innerhalb von Wochen, wenn der Waffenstillstand wenigsten teilweise hält. Ahmad, Vater von sechs Kindern, dessen Haus in Aleppo ein Schutthaufen ist, erklärte mir: „Wenn die Gewalt endet und wir wieder Wasser bekommen, werden wir heimkehren und auf unserem Grundstück in einem Zelt wohnen und sofort mit dem Wiederaufbau anfangen.“

Es gibt auch Berichte aus Gegenden, wo es archäologische Fundplätze gibt, die bekannte Touristenorte sind, wo Bürger und freiwillige Bürgerorganisationen bereitstehen, um mit den Restaurierungsarbeiten zu beginnen, sobald es die Bedingungen erlauben. Genauso sieht es in Syriens General-Direktorat für Antiquitäten und Museeen (DGAM) aus unter der Leitung des unermüdlichen internationalen Patrioten Dr. Maamoun Abdul Karim.

Manche Entwicklungen in den vergangenen Monaten und seit Beginn der Waffenruhe rufen Optimismus hervor, dass die beschädigten und zerstörten archäologischen Orte im großen und ganzen wiederhergestellt werden können. Manche schätzen – auch ich auf Basis von 2-jährigen Besuchen verschiedener Orte und dem Studium von Reports – dass die Zahl von Orten, die reparariert, restauriert oder neu gebaut werden können bei 85 – 95 % liegt. Gestohlene Artefakte und verbrannte historische Dokumente sind viel problematischer und man kann sagen, dass etliche Güter des Weltkulturerbes und ihre Komponenten unwiederbringbar für uns alle und alle, die nach uns kommen, verloren gegangen sind.

Wenn ich mit Dörflern oder Vertretern örtlicher Bevölkerung sprach, deren Familien seit Generationen in archäologischen Orten gelebt haben, hört man emphatische Aufforderungen nach Wiederherstellung der Schutthaufen mit den besten Handwerkern und wissenschaftlichen Methoden, um sie in ihrem vormaligen Glanz neu erstehen zu lassen. Ortsbewohner erklären, dass die Restaurierung vielleicht nicht in jeder Hinsicht perfekt sein werde, dass sie aber dankbar jede Expertise von jedem aus jedem beliebigen Land entgegennehmen würden, der ihnen oder ihrer Regierung helfen möchte.

Die gegenwärtige Waffenruhe ist aufregend für viele Möchtegern-Antiquitäten-Restauratoren in Syrien. Und sogar unter vielen Rebellen und ehemaligen Rebellen, die nicht die rabiate Bilderstürmerei der ISIS und Gleichgesinnter billigen. Ein Archäologie-Student der Uni Aleppo sagte vorige Woche zu mir, dass „jeder wahre Syrer und Nationalist wünscht, unser gemeinsames kulturelle Erbe wiederaufzubauen. Und jetzt haben wir guten Grund zu glauben, dass die Restaurierung bald beginnen kann.“

Ähnliche Gefühle werden an anderen Orten zum Ausdruck gebracht, wo derlei Bilderstürme vorkamen. Ein Beispiel sind die Bürger von Timbuktu in Mali, von denen viele zu der Zerstörung alter Schreine durch die Ansar Dine erklärten: „Lasst sie sie zerstören. Wir werden sie neu aufbauen.“ Ich erinnere mich, als ich zuletzt das stark zerstörte Aleppo besuchte, dass der Direktor des Nationalmuseums zu mir entschieden sagte: „Genau wie die Deutschen Dresden restauriert und wiederaufgebaut haben, werden wir Syrer Aleppo wiederaufbauen.“

Kunst- und Archäologie-Historiker haben begonnen, über Syriens Haltung zu manchen schwierigen restaurativen Herausforderungen als dem Prinzip der „Substitution“ zu sprechen, das man in vielen Kulturen findet.

Substitution bedeutet, dass manchmal am besten etwas neu gebaut wird, um das zu ersetzen, was verloren gegangen ist. Im Fall von Timbuktu waren die Schreine aus Lehmziegeln gebaut, die immer der Reparatur und Erneuerung bedurften.

Gerade in der vorigen Woche (3. Februar 2016) ist der malische Führer Ahmad Al-Faqi Al-Mahdi vor dem Internationalen Gerichtshof (ICC) erschienen in Den Haag zur Anhörung über die Anklage der Zerstörung des reichen kulturellen Erbes des nordafrikanischen Landes. Al-Mahdi wird angeklagt, 2012 die Zerstörung von mittelalterlicher Mausoleen und der Sidi Yahia Moschee veranlasst zu haben, die Teil des Weltkulturerbes in Timbuktu ist. Al Mahdi ist der erste in der Geschichte der ICC, der Strafverfolgung wegen Angriffen auf ein Kulturerbe zu gewärtigen hat im Gegensatz zu Menschenrechtsvergehen. Der Fall Timbuktu ist dringend und extrem überfällig für die Anwendung des internationalen Rechts und der Verantwortung zum Schutz des Weltkulturerbes.

[US-Rassisten können sich nicht verleugnen. Da trägt dieser saubere Herr Lamb den Fall aus Timbuktu vor und einem Schwarzen, den man glücklich vor den ICC gezerrt hat. Ich kann ihm ein großes Geheimnis verraten und einen wirklich heißen Tip geben: in Washington könnte er hunderte solcher Verbrecher finden, die viel, viel größere kulturelle Zerstörungen in der ganzen Welt angerichtet haben und von denen nicht einer hinter Gittern gelandet ist. In der Fußnote unten findet er 400 S. Material, was sie allein im Irak zerstört und geklaut haben. Auf die Idee, die Assad-Regierung aufzufordern, von den USA einige Milliarden Dollar Schadensansprüche zu stellen, kommt der große Freund Syriens auch nicht. D. Ü.]

Syriens Prozess der Wiederherstellung des Weltkulturerbes wird zweifellos einen heilsamen Effekt haben und Stolz in Syrien hervorrufen, wenn es seinen Heilungsprozess beginnt. Die moderne Geschichte bietet Präzedenzfälle.

Man erinnert sich an den 11. 9. 1993 in Bosnien und die elegante Mostar Brücke, die 1566 vollendet wurde nach 9-jähriger Bauzeit und die im 20. Jd. zum Weltkulturerbe erhoben wurde. Sie wurde in einem Hassanfall durch Panzergranaten zerstört. Die örtliche Bevölkerung hat mit Hilfe der UNESCO und der Weltbank ein Projekt begonnen, die 429 alte Brücke wiederaufzubauen. Sie benutzen so viel wie möglich von originalen weißen Kalkstein, der noch unten im Flussbett liegt und holen neuen aus nahegelegenen Steinbrüchen. Das Projekt wurde heute zum geschätzten Symbol für Frieden und Kultur und der Fähigkeit der Bevölkerung, zerstörte Kulturstätten wiederherzustellen.

Da ich in den vergangenen Jahren eine Menge Syrer kennengelernt habe, sage ich vorher, dass dasselbe in Syrien geschehen wird auf vielen der archäologischen Plätze und dass die Restaurierung zur Wiedervereinigung Syriens beitragen wird und zum Heilungsprozess.

Die geplanten massiven Restaurierungsprojekte müssen nicht auf den Zentimeter genau in jedem Detail sein, auch wenn dies das Ziel ist. Aber was vermieden werden muss, ist die Versuchung des schnellen Geldes, indem man archäologische Orte zerstört und sie in Einkaufszentren verwandelt mit Boutiquen für reiche Touristen, wie es die Verwaltung in Beirut in den 1990-er Jahren machte. Sie zersörten mit dem Bulldozer das beschädigte Kulturerbe am alten Hafen von Beirut, um mehr Raum für „Entwicklung“ zu schaffen. Auf der archäologischen Unterlage schufen Spekulatoren eine Abscheulichkeit von leeren 'schicken' Geschäften und Restaurants. Viele mussten schließen, weil die einheimische Bevölkerung sie aus Protest boykottiert und nur wenige, wenn überhaupt, reiche Touristen aus dem Golf zu sehen sind. Viele Libanesen sind zu Recht wütend.

Ich habe in den vergangenen Jahren keine Beweise gefunden, dass das syrische Volk beabsichtigt, Libanons Lösung für beschädigte Kulturstätten zu folgen. Der frenetische zerstörerische Bildersturm der ISIS in Syrien wird einigermaßen abnehmen angesichts des zunehmenden Widerstands des Volkes im Großteil der Gebiete im Kaliphat. Die Brutalität der ISIS und ihre willkürliche Zerstörung von Syriens geliebter Vergangenheit stößt immer mehr auf örtlichen Widerstand.

Es ist bekannt, dass die ISIS ihre Bewegung als eine Rückkehr zu den Wurzeln des Islam ansieht, obwohl diese Behauptung von den Moslems in ganz Syrien und der Welt zurückgewiesen wird. Zu der ISIS-Auffassung gehört eine eingebaute Brutalität gegenüber nicht-Moslems und ihre Definition von Schirk für jede Art Innovation (oder „Bid'ah“) im islamischen Glauben, der Theologie, der Andacht oder der Sitten. Durch die Überdehnung des „das Rechte befehlen und das Falsche verbieten“ zerstören ISIS-Terroristen physisch alle materiellen Artefakte und Gebäude, die sie als Schirk bezeichnen. Die ISIS sieht sich selbst als den all-umfassenden Erzieher, Ausradierer und Durchsetzer in Sachen Schirk. Mehr als ein ISIS-Anhänger hat mir erklärt, dass sie die Taliban und andere entschieden verurteilen, weil sie versäumt haben, Schirk auszuradieren und manche Zentren der Verehrung, ritueller Gebete und der Andacht und der Amulett-Produktion beibehalten haben. Der ISIS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi befiehlt wiederholt seinen Anhängern, „das Schirk der Abtrünnigen mit eurem Tawhid (= das unteilbare Einssein des Monotheismus-Konzepts im Islam) zu schlagen und Allah wird ihre Stärke brechen“.

Es gibt einen wachsenden Chor unter Sunni und Shia Moslems in Syrien und anderswo, der die Schirk-Idee verwirft, wie sie von der ISIS angewandt wird. Viele Syrer, besonders jene unter deren Herrschaft, klagen die ISIS an, nicht das wahre Koran-Erbe des Propheten Mohammed zu verteidigen, der im allgemeinen Altertümer bewunderte und schätzte und sogar griechische und römische Architektur schützte. Die ISIS wird zunehmend angeklagt, einen modernistischen, opportunistischen perversen Kult für politische und nicht religiöse Ziele zu erfinden. Ein moslemischer 'Dialog', vielmehr ein interner Sunni-Sunni bellum sacrum [Heiliger Krieg] – nicht mit dem sektiererisch Shia-Sunni-Krieg zu verwechseln – scheint in Gang zu sein, um der ISIS entgegenzutreten und sie auszuschließen. Die Geschichte wird ihren Verlauf beurteilen.

Gleichzeitig, gesetzt der Waffenstillstand unter ihren vielen Feinden hält, hat die ISIS immer größere Probleme an Personal, Finanzen und Glaubwürdigkeit wegen ihrer Botschaft unter der Bevölkerung. Die ISIS war gezwungen, ihre Gehälter um 50 % zu kürzen, die öffentlichen Dienste zu reduzieren,  immer mehr Fälle von Fahnenflucht zu verfolgen und zu bestrafen, die aus dem Kaliphat verschwinden wollen.

Gegenüber früheren Monatsgehältern von 600 $ für Rekruten betragen sie jetzt nur noch 50 $ für Kämpfer, 100 $ für Verheiratete und 35 $ pro Kind. Bei männlichen Kindern gilt es bis zum Alter von 15, denn dann müssen sie Kämpfer des Kaliphats werden und an die Front gehen nach vier Wochen militärischen und religiösen Trainings. Schlimmer noch. Aus einer Reihe von Gründen kommen nicht mehr so viele ausländische Dschihadisten an wie zu Beginn von 2014 und bis 2015.

Wenn der Waffenstillstand hält und der Krieg endet, gibt es viele Gründe zu glauben, dass es hilfreich ist, unser kulturelles Erbe in Syrien zu bewahren. Und ihr Schutz, Erhaltung und Restaurierung ernsthaft beginnen wird.


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Fußnote:
* Beate Mittmann / Peter Priskil
Kriegsverbrechen der Amerikaner und ihrer Vasallen gegen den Irak und 6000 Jahre Menschheitsgeschichte
404 S., 116 Abb., 1 Übersichtskarte, 4. aktualisierte und erweiterte Aufl.
EUR 17,50
ISBN: 978-3-922774-68-6
(ISBN-10: 3-922774-68-7)
1. Auflage 1992; 4. Auflage 2002

Quelle - källa - source

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